Am 10.3.2018 organisierte Vindex im Rahmen der „Vorarlberger Sonntagsdemos“ eine große Veranstaltung am Marktplatz in Dornbirn.
Diesem Aufruf folgten rund 1.100 Menschen, die bei -wie so oft- abenteuerlichen Wetterverhältnissen sich dennoch auf den Weg machten, um für ein faires und gerechtes Asylwesen und die Aufrechterhaltung der Demokratie einzutreten.
Hier die Eröffnungsrede von Peter Mennel, unserem Obmann:
„Wir haben heute die 15. Veranstaltung im Rahmen der Sonntagsdemonstrationen. Mit ihnen wurde in Vorarlberg eine besondere Demonstrationskultur begründet: Es sind Kultur- und Bildungs-Demonstrationen mit Inhalten statt Parolen. Und ein unglaublich standhaftes Einstehen für Menschlichkeit und Demokratie. DANKE an euch alle!
Für unseren Landeshauptmann und die ÖVP wären diese Demonstrationen lehrreiche Veranstaltungen für eine differenzierte Asyl-Politik nach Vorarlberger Art, in der Sicherheit, Gewaltprävention und gute Integration Hand in Hand gehen.
Das Team Hohenems plant, die Reden der Demonstrationen in Buchform zu bringen, und wir werden Herrn Wallner gern eines schenken.
Die erste Sonntagsdemonstration fand am 11.11.2018 statt, dem Beginn der Narrenzeit. Im Mittelalter waren die Hofnarren das soziale Gewissen. Sie sollten den Herrscher ständig daran erinnern, dass auch er der Sünde verfallen könne. Sünde bedeutete in der Bibel Entfremdung vom Wesen des Menschseins. Es bedeutete Un-Menschlichkeit.
Lasst uns also weiterhin Narren in diesem Sinne bleiben, Unruhe am Hofe der herrschenden Regierung stiften und sie mit unserem „Bleib Mensch“ auf ihre unmenschlichen Taten hinweisen. Auch die Baggerboys sind ein wunderbares Beispiel für solches Hofnarrentum.
Unsere Sonntagsdemos sind aber auch für die Fastenzeit bestens geeignet. Schon vor 2400 Jahren war für den Propheten Jesaia richtiges Fasten:
Die Fesseln des Unrechts zu lösen, an die Hungrigen das Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, niemanden zu verleumden und der Unterdrückung ein Ende zu setzen.
Fasten soll ja der Entgiftung von Körper und Geist dienen. Die FPÖ aber benutzt seit Jahren den Beginn der Fastenzeit, um in ihrem politischen Aschermittwoch Gift herum zu spucken: das Gift von Ausländerhetze, Ausgrenzung und Spaltung. Eigentlich bräuchten sie diesen Aschermittwoch gar nicht. Sie machen es ja eh die ganze Zeit.
Dieses Gift wirkt seit Jahren in der FPÖ und ist nun auch in die Regierung eingeflossen. Eine Quelle dieses Gifts ist meiner Ansicht nach eine Grundhaltung, die bestimmte Menschen als „überflüssig“ betrachtet: nämlich alle diejenigen Menschen, deren Arbeitskraft in den kapitalistischen Kreisläufen nicht profitabel genutzt werden kann.
Unsere Regierung exerziert diese Haltung – kombiniert mit einem ausgeprägten nationalen Egozentrismus – an den geflüchteten Menschen. Herr Kurz, Herr Strache, Herr Kickl und leider hunderttausende ÖsterreicherInnen mit ihnen möchten diese Menschen aus Österreich verbannen. Sie möchten ihnen verwehren, Asylanträge in Österreich zu stellen und wollen die EU-Außengrenzen schließen. Sie sagen letztlich: „Diese Menschen in ihrer Bitte um Hilfe und Asyl stören. Sie stören uns in unserem Wohlstand und in unserem schön eingerichteten Leben. Sie sind für unser Leben überflüssig. Sie bringen nur unangenehme Veränderungen mit sich. Sie haben nichts für unseren Staat geleistet und wollen nun auf unsere Kosten hier leben.“
Ich frage die Ausführenden und Anhänger dieser Asylpolitik: Was haben SIE denn dafür geleistet, dass sie in eines der reichsten Länder hineingeboren wurden und hier leben dürfen? Nichts. Sie hatten pures Glück. Es war ein Geschenk vom Leben. Sie verteidigen angstvoll dieses Geschenk und werfen dabei die Würde der anderen Menschen in den Dreck.
Kickl geht – Woche für Woche – noch weiter: Er spricht – mit schweigender Zustimmung des Kanzlers – allen geflüchteten Menschen grundsätzlich – also unabhängig von ihrer Integration und Leistung für unser Land – die Daseinsberechtigung in Österreich ab. Einfach weil sie Flüchtlinge sind. Für diese Menschen gibt es nur noch „Ausreisezentren“. Das ist institutioneller Rassismus.
Hinter diesen Maßnahmen steht wohl eine tiefe Menschenverachtung. Diese zeigt sich, wenn Kickl 2017 beim Volksfest Wieselburg den eigentlichen Zweck des Festzeltes unter dem Applaus der Anwesenden hochhält: Biertrinken sei wichtiger als die Notwendigkeit, geflüchteten Männern, Frauen und Kindern ein vorübergehendes Obdach zu geben, die (ich zitiere) „dann in unseren Zelten herumliegen und uns auf den Taschen“.
Am Dienstag und Mittwoch könnt ihr im Theater Kosmos noch mehr solcher Zitate hören im Polittheater: ALLES KANN PASSIEREN!
Den Menschen ein Obdach, zu essen und zu trinken geben, sie mit Würde zu behandeln. Das sind Tugenden und Menschenpflichten, die uralt und universell sind. Unser fremdenfeindlicher Innenminister und Vizekanzler und unser empathieloser Bundeskanzler werfen sie zusammen mit den Flüchtlingen über Bord.
Am Beispiel des Mindestsicherungsgesetzes, das nur zu einem kleinen Teil Flüchtlinge betrifft, zeigt sich, dass man noch anderen Personengruppen das Gefühl gibt, überflüssig zu sein: nämlich allen Armutsbetroffenen. Nur wer leistet und ins System einbezahlt, soll bekommen.
Wir müssen daher auf ALLE Menschen schauen, die in diesem Land benachteiligt werden. Darauf haben schon Andreas Postner und Michael Dietrich auf früheren Demos hingewiesen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass diese Menschengruppen gegeneinander ausgespielt werden.
Was können wir diesem – so Hanno Loewy – neoliberalen Faschismus unserer Tage entgegensetzen? Für mich haben drei Kräfte das Potential dazu. Da wäre zum einen die Dankbarkeit für das, was uns das Leben geschenkt hat, indem wir in einem Land wie Österreich leben dürfen. Aus dieser Dankbarkeit kann eine Demut entstehen: Demut kommt von Dien-Mut, dem Mut zu dienen. Es geht um den Mut, dem Wert und der Würde des Lebens und der Menschen zu dienen, im Alltag, auf Demonstrationen, bei Wahlen.
Zum Zweiten ist dies unser Mitgefühl für Menschen und Lebewesen, die leiden. Kurz, Strache und Kickl schieben dieses Mitgefühl zusammen mit allen Flüchtlingen ab.
Drittens ist es das Bewussthalten, Einfordern und Verteidigen der Menschenrechte, die überall und für alle Menschen und für jeden Menschen in gleichem Maße gelten. „Eine Gerechtigkeit, die nur für Familienmitglieder, Landsleute und Gläubige desselben Glaubens gilt, ist eine verschleierte Ungerechtigkeit“, so Papst Franziskus.
Die Menschenrechte sind jedoch in Gefahr, auch in Österreich.
Schon im FPÖ-Wahlprogramm von 2017 steht, dass die Europäische Menschenrechts-Konvention – die laut Verfassungsrechtlern ein Bestandteil der europäischen Kultur ist – gegebenenfalls durch eine Österreichische Menschenrechtskonvention mit einem Heimatrecht der Österreicher ersetzt werden soll. Logische Konsequenz sind dann FPÖ-Aussagen wie „Recht folgt der Politik“ oder „Niemals haben wir uns damit abzufinden, dass Gesetze uns in unserem Handeln behindern“. (Dagmar Belakowitsch).
Am 10. Februar sagte Migrationsexperte August Gächter in Bludenz: Ich fürchte, man wird uns früher oder später einen höchst windigen Deal anbieten: Scheinbar mehr Bürgerrechte und dafür weniger Menschenrechte“.
Schon 14 Tage später sollte er recht behalten. In der Pressekonferenz vom 25.2. spricht Kickl von Ausreisezentren und davon, dass im Grunde niemand mehr in Österreich einen Asylantrag stellen können soll. Dieses Konzept wolle er auf ganz Europa ausdehnen. Hier werden mehrere Menschenrechte angegriffen zugunsten von scheinbar mehr Sicherheit.
Zum Thema „Sicherungshaft“ gibt es später einen eigenen Programmpunkt.
Zum Abschluss verweise ich noch auf Aleida Assmann, der Preisträgerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2018.
Laut Aleida Assmann braucht das von Spaltungen auf allen Ebenen geprägte Europa neue Übereinkünfte für rechtliche und politische Rahmenbedingungen und für das Zusammenleben der Menschen. Diese Übereinkünfte beginnen und enden mit den Regeln für den Umgang miteinander. Es geht – wie es Thomas Mann formulierte – um das „ABC des Menschenanstands“ und im Konkreten um Menschenpflichten.
Ich nenne hier zwei Beispiele solcher Menschenpflichten, die in zwei internationalen Erklärungen 1993 und 1997 formuliert wurden:
- Handle so, wie du vom anderen behandelt werden möchtest (die Goldene Regel)
- Alle Menschen, denen die notwendigen Mittel gegeben sind, haben die Pflicht, … für alle Menschen Würde, Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Das Wissen um das ABC des Menschenanstands haben Kickl und seine Anhänger verloren. Und darum hat Kickl in der Regierung nichts verloren.
Er sollte besser den verpflichtenden Ethik-Unterricht besuchen.
In Bezug auf das Verhältnis von Bürgerrechten und Menschenrechten schreibt Aleida Assmann, dass die Menschenrechte den moralischen Kern einer demokratischen Verfassung bilden. Dieser moralische Kern wirkt im Inneren des Staatswesens. Sichtbar wird er meist in der Situation akuter Verletzungen und Krisen.
Dies geschieht in diesen Tagen.
Innenminister Kickl, die FPÖ, der schweigende Bundeskanzler und viele ihrer Anhänger entziehen dem österreichischen Staatswesen gerade den moralischen Kern. Und sie werfen das tausend Jahre lang entwickelte ABC des Menschenanstands in kleinen Schritten über Bord.
Das heißt für unsere Sonntagsdemonstrationen:
Kämpfen wir weiter für die Rettung des „ABC des Menschenanstands“ und für das Einfordern und Umsetzen der Menschenpflichten.
Kämpfen wir weiter für die Rettung der Menschenrechte, dem moralischen Kern unseres Staates.