Ein Gastbeitrag von Andreas Toelke am 12.11.2017
Was vom Leben übrig bleibt… Ein Stapel Papiere, ein hastig getrunkener Kaffe und ein leerer Stuhl.
Er hat alles verloren. Das Haus in seiner Heimat ist zerstört. Ein Option zur Rückkehr gibt es nicht, er war in der Opposition gegen Assad aktiv.
Vor über zwei Jahren die Flucht. Frau und zwei Kinder bei den Eltern gelassen. Er ist in aus dem Krieg in den Krieg gezogen. Flucht, die noch weniger vorhersehbar ist, als der Terror zu Hause. Darum ziehen die Männer alleine los.
Alleine, in einem Schlauchboot über das Mittelmeer. Als Nichtschwimmer.
Irgendwann Deutschland. Wochenlang in Berlin auf der Strasse. Ein paar Cent, eine Telefonkarte vom Munde abgespart, um wenigstens ein Mal in der Woche mit der Familie sprechen zu können.
Asylverfahren – dauerte knapp zwei Jahre. Entscheidung: Syrer, subsidiärer Schutz – Familie darf nicht nach kommen.
Er hat angefangen zu kiffen, wurde von Tag zu Tag durchsichtiger, apathischer.
Als es in der Heimat absolut unerträglich wird, fliehen Frau und Kinder in die Türkei, sitzen in einem Camp, einem Container mit 24 Flüchtlingen, ohne Schule, ohne wirkliche medizinische Versorgung und mit Essen, das den Namen nicht verdient. Seit über einem Jahr.
Er kann nicht mehr. Er hält nicht mehr aus, seine Kinder grade mal auf Fotos aufwachsen zu sehen.
Er ist gegangen. In die Türkei. Zu seiner Familie. Er darf das nicht, die Klage gegen die Fehlentscheidung des Bundesamt für Migration läuft. Er darf die EU nicht verlassen, ist auf dem Weg nach Griechenland. Dann irgendwie in die Türkei. Vielleicht mit einem Schlauchboot. Als Nichtschwimmer.
Er bricht das Gesetz. Soll man ihn aufhalten? Und wie soll man ihn aufhalten? Mit einem Versprechen, dass man nicht halten kann? Alles wird gut – es ist nur eine Frage der Zeit, bis du deine Familie in den Arm nehmen kannst…
Er wird sie in den Arm nehmen. In einem Camp mit Ausgangssperre, in das er sich als Flüchtling aus Deutschland illegal einschmuggeln muss. In dem er nicht mal was zu Essen kriegt.
Er ist für seine Entscheidung verantwortlich. Ungefähr so, wie ein Kunstfehlerpatient, der stirbt und dem im Nachhinein vorgeworfen wird, er hätte sich ja nicht dem Gesundheitssystem ausliefern müssen. Ungefähr so, wie ein Unfallopfer im Strassenverkehr, der Schuld ist, von einem Betrunkenen angefahren worden zu sein.
Es sind nicht die Flüchtlinge „Schuld“, die hier verzweifeln. Es ist ein marodes, zynisches, menschverachtendes System mit einer überforderten, kaputtgesparten Bürokratie und Politikern, die keine „Angst“ vor Flüchtlingen haben müssen. Die haben ja keine Stimme.
Ich geh jetzt ne Runde heulen über einen verlorenen Freund und entschuldige mich für einen viel zu langen Post.